Wenn die Helfer selbst
betroffen sind
23.8.2021 | „Zunächst einmal war da massive
Betroffenheit. Wie damit umgehen, dass das
Unvorstellbare geschehen ist?“ So erging es
Hugo Nowicki, der als Pastoralreferent und
nicht als Vorsitzender des Caritasrats seel-
sorgerisch auch für die Caritas-Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter in Bad Neuenahr-Ahrweiler
Ansprechpartner ist.
Die Ereignisse müssen verarbeitet werden. Hugo Nowicki
hier im Gespräch mit Caritas-Mitarbeiterin Nadine Jüsgen. |
Foto: E.T. Müller
Zwei Drittel der Mitarbeitenden im Caritas-
Team sind selbst von der Flut betroffen, einige
haben ihr Haus verloren. Für Hugo Nowicki ist
es wichtig, dass die Menschen „ihre
Erfahrungen und Empfindungen einfach
schildern können.“ Das gilt für seine Gespräche
mit Betroffenen und den Helferteams in
Altenburg und Altenahr, das gilt für seine
Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen
bei der Caritas Ahrweiler. Immer wieder macht
er die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darauf
aufmerksam, „auch sich selbst in den Blick zu
nehmen. Schauen sie, den eigenen Tank selbst
immer füllen zu müssen.“
Nadine Jüsgen ist eine der stark betroffenen
Mitarbeiterinnen. Auch sie muss das Erlebte
erst einmal verarbeiten. Es war ein ganz
normaler Abend, als am 14. Juli im Hause
Jüsgen das Licht ausging. Tief in der Nacht
jedoch wurden Familienmitglieder von einem
starken Rauschen geweckt. Die Ahr hatte sich
ihren Weg bis zum Haus gebahnt und in
Parterre stand man bereits knöcheltief im
Wasser, so Nadine Jüsgen, die mitverfolgen
konnte, „als das Wasser in nur 20 Minuten bis
zur ersten Etage gestiegen und die Treppe fast
völlig vollgelaufen war.“ Die Nacht verbrachte
die Familie in der ausgebauten Dachwohnung,
wobei ein paar Batterie-Lichterketten ein wenig
Licht spendeten. Immer schaute die Caritas-
Mitarbeiterin herüber zum Nachbarhaus, wo sie
das Steigen der Flut bis zum Scheitelpunkt
mitverfolgen konnte. Als das Wasser nicht mehr
zu steigen schien, war ein wenig Erleichterung
spürbar. „Nachmittags gegen 14:00 Uhr
konnten wir dann wieder raus, standen aber
immer noch knietief im Wasser. Wir packten
unseren Rucksack und gingen zu meinem
Vater.“ Baucontainer und viele Dinge von der
gegenüberliegenden Baustelle lagen im
Garten. Auch das Auto war geflutet. Erst später
sah Nadine Jüsgen das ganze Ausmaß: „Ich
stand am nächsten Tag da, war völlig ruhig und
dachte nur, meiner Familie geht es gut. Es ist
auch okay, wenn sie das Haus abreißen
müssen. Was ich wirklich brauche, sind die
Menschen um mich rum.“ Bald nach dem Auf-
räumen war sie schon wieder bei der Caritas
tätig. „Zu arbeiten tut eigentlich gut. Das lenkt
ab, und man kann auch was tun. Der Alltag tut
gut. Es tut gut, die Kollegen wiederzusehen.
Dass alle wohlauf sind, war gut zu hören,
wobei einige ihre Häuser verloren haben.“ Auch
in ihrer Nachbarschaft wächst der Zusammen-
halt. „Jeder hilft und man achtet mehr auf-
einander. Jetzt muss es aufwärtsgehen“, sagt
Nadine Jüsgen mit einem positiven Blick in die
Zukunft, wobei auch sie weiß, dass es für alle
ein langer Weg hin zu mehr Normalität sein
wird.